Your address will show here +12 34 56 78
Ameisensommer

Südmarokko. Das Tor zur Wüste. Eine Frau. Vor Jahren ist sie im unendlichen Raum der Sahara verschwunden.

Ein Mann bricht mit seinem Sohn auf, um sie – die verlorene Liebe – zu finden. Die bizarre Wanderung durch die

magischen Orte Nordafrikas treibt sein Leben in eine immer radikaler werdende Lebenskrise.


Kräftig und subtil schildert Willi Achten diese tour de force durch die Wüste – bis hin zum finster glimmenden Zentrum des Grams.

Leseprobe

Zwei Dutzend Tische vielleicht. Die Gläser vollaguardiente – ein Gesöff zum Feuerspucken, das inder Kehle ein Glühen hinterläßt. In der Sonne trocknendesTreibholz. Die Stille, die sich in der Brandungzwischen zwei Wellenschlägen auftut. Im Rücken die Stadt. Ceuta. Ein Brückenkopf. Dahinterschon Afrika. Der Geruch von wilder Minze, dieder Junge zwischen den Fingern zerreibt.Ameisen, die in dichten Kolonnen quer über denTisch wandern und Zuckerkristalle und Tabakkrümeldavontragen.Die Schuhsohlen beschlagen. Die Hosen ausgrünem Drillich, wie ihn das Militär trägt. EinSchlüsselbund, der am Finger kreist. Das Haarkräftig ins Schwarze gedunkelt. Ein Lächeln zwischenden Zähnen. »Miren, senores. Schauen Sie.«Damals Gibraltar. In den Handflächen ein Brennen,wenn Haut zu lange an Haut reibt. Nach demEssen, der Widerhall der Glocken dröhnte imBauch, und auf dem Jochbein schimmerte die Hautdurchlässig und porös wie ein durchgewetztesTischtuch, kam er an den Tisch. Er roch gut, einteures Parfum, zu teuer für einen Schuhputzer.Flink stellte er den Schuhputzkasten auf das Trottoir,ein Griff zu ihrem Fuß. Senora, por favor. Guttural.Und sie lächelte. Hin und her – die Bürste.Die Blicke ihr Bein hoch.

 

Damals – in Gibraltar – hätte es ein Griff inden Nacken getan, so wie man einen Köter schütteltoder ein Kind, das in das Tischtuch Sterneschneidet.

Ameisen, die in die Zigarettenpackung des Jungenlaufen, über die Zinken der Gabel balancieren.

Senor, por favor! Der Vater zuckt, in den Mundwinkelnein Beben: eine Fotografie, über den Tischgeschoben, Ähnlichkeiten, der Schnitt der Augen,die flammende, mahagonifarbene Fülle des Haars,die Haut olivfarben. Der Himmel ein hitzigesAbendrot. Cuánto cuesta? Die Stimme des Vatersholprig und spröde. Nach all den Jahren nun eineLiebe, die … er winkt ab … ihr Schatten legt sich inseinen Blick, er schüttelt den Kopf, er hat ihre Spurfinden, hat den Wind, die Regenfurchen im Sandlesen wollen, in Gibraltar, in Mogador, in der Wü-ste, vor allem in der Wüste.

2.

Das Meer ist blau und abends grün. Der Junge gehtüber den Dünenweg nach Hause. In die Kniekehlensticht spitzes, hartes Gras. Manchmal bleibt derJunge stehen, verharrt wie bei großem Schreck,dann sieht er Ameisen einen Holzpfahl herunterklettern,der in den Boden eingelassen ist und denrote und gelbe Kreise, Markierungen, zieren. AmFuß des Pfahls angekommen verschwinden dieTiere im Sand, als würden sie verschluckt.Manchmal legt der Junge den Kopf in den Nakken,sein blondes Haar steht aufrecht wie eine Mützeim Wind. Eine Lerche steigt. Der Vogel singt,oder ist es ein Rufen, ein verwundertes, aufgeregtesKrakeelen, da die Silhouette des Sperbers sich senktund blitzschnell das Tier in der Luft reißt, es vomHimmel wischt.Manchmal setzt sich der Junge auf eine Bank,wippt mit den Füßen und läßt Sand aus den Schuhenrinnen, der auf den Boden rieselt und Kreiseund Männchen malt.Wenn es dämmert, liegt der Junge im Bett, undder geöffnete Mund näßt das Kopfkissen. Schreitein Kauz oder ein Eichelhäher, öffnet der Junge dieAugen und sieht den letzten Rest Tageslicht vonden Wänden rutschen. Unter dem Kopfkissen sindStimmen. Manchmal wirft sich ein Lachen in dasMurmeln, und der Junge streckt sich noch tiefer indie Kissen.

Leseprobe

Der Sand hat die Farbe von Kichererbsen – ein schmutziges Gelb. Er türmt sich bis zur Oberkante des Türrahmens. Der Vater schüttelt ratlos den Kopf und stiefelt um das Haus herum. Der Junge läßt sich rücklings im Schatten der Mauer in den Sand fallen, der ihn trägt wie das Wasser einen Schwimmer. Damals war es das letzte Dorf vor der Wüste, sagt der Vater und läßt sich neben dem Jungen in den Sand nieder. Von den meisten Häusern ragt nur noch der obere Teil aus dem Sand. Lehmfarbene Kuben, die wie Bunkerkappen aus den Dünen spähen. Eine Geisterstadt, sagt der Junge. Das Ende der Welt, antwortet der Vater. Der Junge greift in den Sand und läßt ihn mit der Geschwindigkeit eines Stundenglases über den Arm rinnen, der am Ende paniert aussieht. Der Vater steht auf, watet eine Sandzunge hinauf und zwängt sich durch ein glasloses Fenster in das Haus. Das Dachgebälk wirft ein Netz von Schatten wie von einem Strickmuster auf die flachen Sandrippen, die sich durch das ganze Zimmer erstrecken. …….. Setz dich, sagt der Vater. Mit den Händen scharrt er in der Mitte des Raums den Sand von der gestampften Erde. Er arbeitet sich voran, wie ein Hund, der ein Loch gräbt. Staubfahnen wirbeln in der Luft. Schließlich tastet er den Boden ab, als suche er einen verlorengegangenen Ring oder ein winziges Stück Zahngold.

Er zieht sein Messer aus dem Gürtel und hackt den Boden auf. Lehmige Klumpen räumt er beiseite. Hier, hier muß es sein. Plötzlich ändert sich der Ton der Klinge, als schlüge sie an einen Stein oder an ein Metall, eine Büchse vielleicht. Der Vater zieht aus dem Trichter eine Hülse, eine Gewehrpatrone, die an einem ledernen Band hängt, hervor. Das Leder ist dünn und abgewetzt. Schweigend dreht er den bronzefarbenen Metallzylinder in den Händen, als wüßte er jetzt nicht weiter. Schließlich hebt er mit dem Messer eine Kappe am Ende der Patrone an. Der Vater arbeitet vorsichtig, so als könne der Zylinder noch Schießpulver oder ein Gift enthalten. Er zieht die Kappe ab und klopft die Hülse auf der hohlen Hand aus, ein Büschel kastanienbraunen Haars rutscht heraus. Es ist das Gesicht, das den Vater verrät, das seine Scham zeigt, so als habe er wie ein Grabräuber eine Reliquie an sich gerissen. Langsam, als könne jedes zu heftige Ausatmen ein Haar aufwirbeln und im Sand abhanden kommen lassen, senkt er den Kopf und riecht an dem sichelförmigen Büschel. Sein Gesicht zuckt wie von einem Schmerz getroffen. Der Geruch … kennt keine Zeit. Er übersteht die Jahre. Man ist ohne Chance.

Kaufhinweis

 

Der Roman „Ameisensommer“ ist direkt über den Grupello Verlag bestellbar.

 

96 Seiten, Broschur, Format: 13 x 21 cm

ISBN 3-933749-14-X, Erscheinungsjahr: 1999